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Schlagwort: Tantramassage

Toxic Tantra? Wie du Tantra sicher für dich entdeckst

Tantra ist ein uraltes spirituelles System mit Wurzeln im Hinduismus und Buddhismus. Die Philosophie ist bekannt für ihre ganzheitliche Sichtweise auf Spiritualität, Sexualität und das Leben an sich. Im Kern des Tantra geht darum, dir selbst näher zu kommen.

Tantramassage, ein spezifischer Aspekt des Tantra, ist eine sinnliche und therapeutische Massage, die darauf abzielt, sinnliche und sexuelle Energie zu wecken und zu lenken. Tantra und Tantramassage können tiefgreifende und bereichernde Erfahrungen sein, wenn sie in einem sicheren und respektvollen Kontext praktiziert werden. Das ist leider nicht immer der Fall.

Wir, das SENZES Team, haben vor Kurzem intensiv „die dunkle Seite“ der Dienstleistungen für die Sinnlichkeit diskutiert, ausgelöst von der Veröffentlichung des Seelenfänger Podcast – Staffel 4 – Toxic Tantra. Dann haben wir mit zwei SENZES Expertinnen gesprochen, um Bezug zu nehmen und einen Weg aufzuzeigen, Tantra behutsam und sicher zu entdecken.

Worum es geht: Der Podcast „Toxic Tantra“ vom BR erzählt in acht Folgen von der Yogabewegung Atman – die Frauen über Yogakurse in ein Geflecht aus Manipulation und Machtmissbrauch brachte und vermutlich noch bringt. An der Spitze steht der Guru Gregorian Bivolaru, der sich seit Ende 2023 in Untersuchungshaft befindet.

Der folgende Beitrag ist ein Interview Format mit Katja von der Forst und Johanna Debes:

Definition und Abgrenzung von Tantra

Starten wir mit einer individuellen Definition. Bitte sag mir, wie du Tantra (für andere) umreißt.

Katja: Tantra ist eine Lebensphilosophie mit 64 Künsten. Yoga, Massage, Sexuelle Praktiken, Gesang, Tanz, Atemtechniken gehören z.B. dazu. Tantra ist ein Weg dir selbst näher zu kommen.Tantra ist ein spiritueller Weg des Bewusstseins und der Fülle. 

Johanna: Ihr müsst bitte unbedingt Tantra und Tantramassage unterscheiden. Das sind einfach zwei Paar Schuhe.

Was ist Tantra nicht?

Katja: In der alten Tantra Tradition geht es viel um Riten und strikte Abläufe, die zu befolgen sind. Das ist natürlich immer ein Bereich, der Möglichkeiten für Machtmissbrauch bietet. Für mich ist bei allen Angeboten zu Tantra, Bewusstseinserweiterung und Wachstum immer die Eigenverantwortung und Freiwilligkeit an oberster Stelle. Jede:r wird darin ermutigt, zu entscheiden, was er:sie machen möchte und mit wem und ob.

Warum ist es wichtig, gerade beim Tantra genau hinzuschauen?

Johanna: Was sehr wichtig zu wissen ist, dass in den Sex-positiven Räumen und auch beim Tantra sehr viele Menschen in irgendeiner Form traumatisiert sind und suchen und deshalb oft nicht richtig bei sich sind. Ich habe immer wieder beobachtet, wie Teilnehmerinnen ihre ganze Selbstverantwortung an Seminarleiter abgeben oder ihre Rettung auf diese projizieren und dadurch entstehen schnell toxische Strukturen. Einige {Anbieter oder deren Helfer:innen } nehmen diese Projektion des „Retters“ gerne an und baden sich darin.

Was ermöglicht Tantra

Mit welchen Themen und Fragen ist man bzw. Frau beim Tantra richtig?

Katja: Der Begriff Tantra muss konkretisiert werden. Was ist da drin? Beim Yoga geht es mehr um die Verbindung mit dem Körper, das Strömen der Lebensenergie, Atemarbeit, meditative Zustände, die dir Raum für Bewusstsein und Unbewusstes eröffnen. Bei einem Tantra Seminar zur Vertiefung der Beziehung mit dem:der Partner:in geht es um energetische Übungen, Atem, Bewegung, Spürübungen, Berührungsübungen und es kann bis zu angeleiteten Ritualen der Vereinigung führen.

Johanna: Ich finde eine Tantramassage ist eine wunderbare Möglichkeit absichtslose Berührungen zu empfangen am ganzen Körper, aber auch an den Genitalien. Wichtig finde ich aber auch in einer Tantramassage immer wieder zu kommunizieren, wie fühlt sich etwas an, kann ich mich gerade einlassen oder drifte ich ab? 

Red Flags beim Tantra

Worauf sollte ich achten? Wo können die Alarmglocken schrillen?

Johanna: Meiner Meinung nach ist der größte Fehler, seine eigene Selbstverantwortung abzugeben. Was natürlich sehr schwierig ist, weil gerade oft die Klientin ein großes Thema mit Grenzen hat. Vorsicht ist geboten, wenn jemand {ein: Anbieter:in} offensichtlich König:in spielt.

Katja: Tantra braucht keinen Guru, aber gute und vertrauensvolle Lehrer, die einen anspruchslos dabei begleiten, individuell zu wachsen. Tantra zwingt niemanden zu etwas. Du musst niemals Prüfung machen, um dazu zu gehören oder es richtig zu machen. Du selbst entscheidest immer was für dich richtig ist. Du musst niemals Übungen mit jemandem machen, mit dem du das nicht machen möchtest. Du wirst niemals zu körperlicher Aktivität welcher Art auch immer gezwungen.

Tipps, um Tantra sicher und behutsam kennenzulernen

Was hilft einer guten, sicheren Tantra Erfahrung?

Johanna: Ich kenne viele wunderbare Tantramasseurinnen die eine super Arbeit machen. Ich würde interessierten Frauen empfehlen, zuerst zu einer Frau zu gehen und ein Vorgespräch per Zoom zu vereinbaren und innerlich ehrlich zu überprüfen, ob sie mit dieser Person eine Tantramassage erleben möchte.

Katja: Kritisch hinterfragen ist immer und überall wichtig. Selbstverantwortlichkeit behalten ist wichtig. Niemand weiß es besser als du. Du kannst zu jeder Zeit gehen, wenn du dich nicht wohlfühlst. Du selbst bist deine beste Aufpasser:in. Erzähle Freund:innen, wo du hin gehst. Welche Regelstruktur es bei dem Seminar gibt, ist zu prüfen. Wird das Thema Konsens und Freiwilligkeit erwähnt? Im Zweifelsfall nachfragen, ob Pausen möglich sind und ob ich den Partner frei wählen darf. Ist Nacktheit Teil des Seminars? Frage dich, ob du das möchtest. Erfrage genaue Inhalte. Frage dich selbst, zu was bin ich bereit und zu was nicht.

Vielen Dank!

Mein Weg zum Tantra

Eine Frage, die mir sehr häufig gestellt wird, ist, wie ich selbst zum Tantra gekommen bin. Für mich scheint es im Rückblick wie Bestimmung, denn durch Tantra durfte (und darf ich weiterhin) ich meine Werte, mein emotionales Empfinden und meine Art, Beziehungen zu leben, in Versöhnung bringen und mich im Einklang mit allem erfahren.

Mein erster Kontakt mit der Tantramassage

Als ich zum ersten Mal mit der Tantramassage in Kontakt kam, war das aus dem Wunsch heraus, in meine langjährige Beziehung etwas neuen sexuellen Wind zu bringen. Ich schenkte meiner Partner*in eine Paarmassage. Die Massage fand im Tarisha statt, der Massagepraxis, in der später selbst massieren würde.

Wir kamen beide zu dieser Massage mit einer Erwartung von Entspannung, sexuellem Prickeln und dem Wunsch, gemeinsam nebeneinander eine neue Erfahrung machen zu dürfen. Diese Erwartung wurde erfüllt, wir hatten beide jeweils eine gute Massageerfahrung. Ich erfuhr in meiner Massage eine Tiefe und Ruhe, die mich sehr beeindruckte, ein Angenommensein, das ich in dieser Form zuvor noch nicht erlebt hatte.

Anschließend tauschten wir uns aus und verbuchten die Massageerfahrung als ein sehr schönes, besonderes Erlebnis. Meine Partner*in schenkte mir ein Buch zu Tantra, das ich aber lange nur im Regal stehen hatte, aber nicht las. Dann verschwand Tantra erstmal wieder aus meinem Blick. Wirklich gepackt hat mich Tantra erst später.

Selbstwirksamkeit wiederentdecken

Ausschlaggebend dafür war eine Veränderung in unserer Partnerschaft. In mir – und auch meiner Partner*in – erwachte der Wunsch nach Verbindung mit weiteren Menschen. Wir begannen uns mit Polyamorie zu beschäftigen und luden sie in unser Leben ein. Bald schon traf meine Partner*in eine Person, in die sie sich verliebte. Ich hatte mir das gewünscht. Und doch war das reale polyamore Leben für mich eine große Herausforderung. 

Alte Muster, die ich noch nicht aufgearbeitet hatte, ein geringes Selbstwertgefühl und große Verlustangst brachen mit Wucht über mich herein. Mein Wunsch, Mitfreude empfinden zu können und in einem happy Polykül* Freiheit, Liebe, Verbundenheit und Autonomie gleichzeitig zu leben, war zunächst kaum mit meinem emotionalen Empfinden in Einklang zu bringen.

Und in diesem Moment kam Tantra wieder in mein Leben. Meine Partner*in hatte ein Date. Ich tigerte durch unsere Wohnung und versuchte, mich in Gönnenkönnen und Liebe hineinzuleveln, empfand aber nur Angst und Haltlosigkeit. Und dann erinnerte ich mich an das Buch (Urban Tantra von Barbara Carellas) in meinem Regal und begann zu lesen. Kurz: An diesem Abend gelang es mir, mich aus meiner Angst herauszuatmen, meine Energie zu verändern und mit Feueratem meine Angst in Erregung und letztlich in einen sehr empowernden Orgasmus zu transformieren. Diese erste Erfahrung mit Energielenken war für mich ein Tor hin zu mehr Selbstwirksamkeit.

*Als Polyküle werden Geflechte von Liebesbeziehungen bezeichnet, die sich meist mit polyamoren Menschen ergeben können und über eine Paarbeziehung hinausgehen.

Schattenarbeit über Tantra

Danach war (und ist) es weiterhin nicht einfach, mit meinen Gefühlen und Mustern zu sein. Doch ich nahm die Verantwortung dafür immer mehr für mich an und nutzte tantrische Übungen, um mich Schritt für Schritt mehr mit mir selbst zu verbinden. Auch die Beziehung zu meiner Partner*in profitierte davon: Es wurde leichter, meine Werte tatsächlich zu leben und andere Menschen in Verbindung mit uns mittanzen zu lassen.

Die Kombination aus der Öffnung für die Polyamorie, das mich Öffnen für den tantrischen Weg ermöglichten mir, meine Hausaufgaben zu machen und mich dem zuzuwenden, was in meiner Psyche integriert und gesehen werden wollte. Sie öffnete mir die Augen und gab mir die Ressourcen, in Schattenarbeit zu gehen und mich in verschiedene therapeutische Räume zu begeben.

Mein weiterer Weg

Die Begeisterung über die Wirksamkeit des Feueratems und die Erinnerung an die Tantramassage, die ich empfangen durfte, ließ mich bald auf die Suche nach Workshops oder Seminaren gehen, auf denen ich mehr würde lernen können. Dabei ließ ich mich ganz von meiner Intuition treiben und meldete mich schließlich für das erste Modul einer Tantramassageausbildung (bei TantraConnection) an. 

Diese Ausbildung stellte mein Leben weiter auf den Kopf. Ich entschied mich in ihrem Verlauf, meinen Berufsweg als Lehrerin nicht mehr weiter zu verfolgen und begann in einer Tantramassagepraxis zu massieren. Es folgten weitere Ausbildungen, meine Selbstständigkeit mit DiscoverYourself und auch eine vertiefte, persönliche, tantrische Praxis.

Die Tantramassage ist für mich weiterhin der Ort, an dem ich Tantra am ausführlichsten praktiziere. Doch Tantra ist mehr als die Massage und durchdringt heute mein ganzes Leben.

Die Autorin über sich selbst

Ich bin Ulrike Görz.

Meine Sexualität zu erforschen hat mich mit mir verbunden, viel in mir versöhnt, mein Körpergefühl verändert und mich friedlicher mit meiner Körperin, meinem Sein werden lassen.