Was ist Sexocorporel?
Was macht eigentlich eine Sexualtherapeutin, die auf Basis von Sexocorporel berät? Der Begriff und das Konzept haben in der Welt der sexuellen Gesundheit schon einige Verbreitung gefunden. Ein guter Grund ein bisschen in die Tiefe zu gehen. Wir haben Kathy Mussäus – ausgebildete Sexologin und systemische Sexualtherapeutin mit Fokus auf Sexocorporel – gebeten eine Einführung zu geben und ihre Herangehensweise und Erfahrung zu teilen. Das ist ihr Beitrag:
Die Grundlagen von Sexocorporel
Sexocorporel ist ein sexualtherapeutisches Model, das von dem Kanadier Jean-Yves Desjardins (1931-2011) ab den 60er Jahren entwickelt wurde. Das Model des Sexocorporel basiert auf verschiedenen Annahmen, wie beispielsweise, dass Sex erlernt ist und nicht in unserem biologischen „Skript“ verankert. Viele kennen den Spruch: „Sex ist die natürlichste Sache der Welt!“. Das vermittelt uns (falsch!), dass Sexualität etwas ist, was entweder funktioniert oder eben nicht.
Die gute Nachricht ist, dass wir Sexualität zu jedem Zeitpunkt in unserem Leben entwickeln und erweitern können. Vergleichbar mit einem Instrument, welches wir spielen möchten. In diesem Fall ist der Körper unser Instrument, welches wir erforschen und lernen, dieses bei der Sexualität einzusetzen.
Der Zugang zum Körper
Eine weitere Annahme des Sexocorporel ist die Körper-Hirn Einheit. Was bedeutet das genau? Wenn wir negative Gedanken haben, werden wir keine positiven Emotionen erhalten und umgekehrt. Wenn wir beispielsweise Gedanken haben, die in uns Wut auslösen, wirkt sich das auch auf unser Körpererleben aus. Menschen, die wütend sind, kann man oft bereits an einer gewissen Mimik oder auch Körperhaltung erkennen. Wir benötigen manchmal keine Sprache dazu. Ähnlich ist es auch bei Freude, die sich durch eine positive Mimik im Gesicht widerspiegelt. Mit diesen menschlichen Fähigkeit, etwas über den Körper auszudrücken, nutzen wir im Sexocorporel. Wir beeinflussen unser Erleben über unseren Körper, die Gedanken und Emotionen.
Meine Wissensbasis für Sexocorporel
Als Therapeutin erfahre ich in den ersten Sitzungen, mit welchem Anliegen eine Person zu mir kommt. Mich interessiert, was die Person gerne in der Sexualität erleben möchte bzw. wo gerade eine (ungewollte) Grenze in der Sexualität wahrgenommen wird. Dann erstelle ich eine Evaluation, eine Bestandsaufnahme. Dabei lasse ich mir oft den Sexualisierungsprozess erklären. Beispielsweise wie die ersten Erfahrungen mit der Sexualität waren – sowohl in der Paarsexualität, aber auch im Solosex. Wie hat die Person es geschafft, sich für das eigene Genital zu sensibilisieren? Was interessiert die Person an Sexualität? Weiss die Person, was ihn/sie erregt oder wie die Person die Erregung steigert? Das sind immer sehr persönliche Erlebnisse und Erfahrungen. Aufgrund der Rückmeldungen ordne ich ein, welche Ressourcen die Person bezüglich der eigenen Sexualität mitbringt. Oftmals machen sich die Menschen keine Gedanken darüber und entsprechend sind sie oft erstaunt, was sie bereits erlernt und erfahren haben. Und genau darum geht es im Modell des Sexocorporel.
Der Beratungsprozess
Ich schaue mit dem Wissen über diese Ressourcen auf die Person und zeige den Klient*innen, welche Fähigkeiten bereits entwickelt sind. Es ist erfahrungsgemäß einfacher, etwas mit vorhandenen Fähigkeiten zu erlernen, als wenn ich etwas ohne Grundlage entwickeln möchte. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die Motivation. Wofür möchte ich überhaupt meine Sexualität weiterentwickeln? Weil es dazu gehört oder weil mein/e Partner*in sich das wünscht? Was kann ich als Person davon haben, die eigene Sexualität zu erleben?
Es ist natürlich ein Prozess, der sich langsam entfaltet, doch jeder kleine Schritt ist ein Weg zur selbstbestimmten Sexualität. Die Neugierde und die kleinen Fortschritte helfen uns auf dem Weg zu bleiben und uns zu entwickeln.
Es lohnt sich!